Neeve – CHAOS OF MY MIND TOUR 2022
Neeve in der Kantine!
CHAOS OF MY MIND TOUR 2022
Die junge Stuttgarter Band NEEVE erlaubt ein Namedropping der besonderen Art. Und wir wissen ja alle, dass eine Bandbiografie wie diese nicht ohne auskommen darf. Steigen wir also gleich ein: Unter einem gewissen Blickwinkel sind NEEVE ein wenig wie The National, lange nicht so toxisch wie Oasis, ähnlich verstrickt wie die Kings of Leon und das Doppelte der Kinks. Bevor jetzt aber jemand das Referenzkarussell anwirft und sich ausmalt, wie zum Henker das denn klingen würde, hier ein paar aufklärende Worte: NEEVE sind mit ihrem charismatischen Indie- und Pop-Sound schon sehr eigenständig unterwegs – das Besondere an der 2018 gegründeten Band ist, dass sie wie all die zuvor genannten Acts, familiär eng verwachsen ist und gleich aus zwei Brüderpaaren besteht, die zudem als Cousins verbunden sind: Felix Seyboth (Gesang, Drums) und Axel (Produktion, Piano, Gitarre) Seyboth und Marius Spohrer (Gitarre) und Philipp Spohrer (Bass).
„Wir haben das erst gar nicht als so besonders empfunden“, erzählt Felix, „wurden dann aber immer wieder drauf angesprochen. Dieses Familiäre sorgt einerseits dafür, dass du sehr ehrlich und direkt bist. Wir kennen uns fast das ganze Leben lang, sehen uns drei bis viermal die Woche, haben schon als Teenager Musik gemacht, sind mit ähnlichen Lieblingsbands aufgewachsen. Musik ist für uns alle etwas sehr Persönliches. Es geht um Emotionen, Wahrnehmungen, Gefühle und Reflexion – das schweißt uns extrem zusammen, macht es aber auch sehr sensibel. “Der Bandname NEEVE sei deshalb auch als „gemeinsamer, fiktiver Familienname“ zu verstehen, den man sich 2018 zulegte. Keine schlechte Wahl: Denn das Wort klingt rund, macht sich in der richtigen Typo gut auf Shirts und Jutebeuteln, und der Wortursprung geht auf das altfranzösische Wort „neveu“ – übersetzt: „Neffe“ – zurück.
Es gibt einen Song von NEEVE, der diese „sensiblen“ Momente zwischen zwei hochkreativen Brüdern sehr schön einfängt. „This got me Staying“ heißt er, wird die neue Single und ist quasi ein Zwiegespräch zwischen dem älteren Bruder (Felix) und dem jüngeren (Axel): „Just tellme about it / are you done with mocking me? / Ah, you trynna be rude / but it’s not about you / can’t you see?“, singt Felix darin am Anfang. Die Musik dazu klingt ein wenig, als hätte es ein britisches Indie-Königstreffen zwischen The 1975 und den Glass Animals gegeben – unter der künstlerischen Leitung von Robert Smith. Felix ist der ältere der beiden Brüder, die Stimme, der Texter und ein wenig auch das Gesicht der Band, Axel wiederum produziert die Musik von NEEVE und hat sich inzwischen Skills draufgeschafft, die jedes Demo schon so wuchtig klingen lassen, wie es manchmal nicht mal teuer einzukaufende Produzent:innen hinkriegen. Da kommt es schon mal zu kreativen Reibungen. Felix erklärt: „Ich singe die erste Strophe aus meiner, und die zweite aus seiner Sicht. Mir ging es um diese Momente, in denen ich merke: ‚Ich erkenne mich in einem Bruder wieder‘. Wir sind beide sehr leidenschaftlich, wenn es um unsere Musik geht und konkurrieren manchmal eher unfreiwillig. Ich habe mich gefragt, warum das eigentlich so ist und dann gemerkt, dass Axel eine ganz ähnliche Phase hat, wie ich in seinem Alter. Das brachte mich dazu, auch das eigene Verhalten zu reflektieren.“ „This got me Staying“ funktioniert dabei aber auch als klassischer Love-Song. „Mich reizt am Songwriting, doppeldeutig und anschlussfähig zu bleiben. Ich verarbeite schon sehr persönliche Dinge, versuche aber immer, sie so zu texten, dass sich andere mit ihren eigenen Erfahrungen einfühlen können. “Dieser Spagat gelingt NEEVE sehr gut: Ihre Single „Black and Blue“ zum Beispiel verhandelt Felix Seyboths ADHS Erkrankung und ist dabei ein schillernd-schöner Popsong, der mit einer Verve beginnt, die wehmütig an die Zeiten denken lässt, als man Coldplay noch die Gitarren raushörte. In einer Strophe singt Felix auf einer beruhigend wirkenden Gitarren Melodie: „The faster I run, the slower I move / (Yeah) But there’s nothing I couldn’t do / Don’t tell me to stop / It just doesn’t work / But does it hurt?“ Zum Ende hin kippt der Song dann wieder in Pop-Euphorie in der Größenordnung einer The Killers-Produktion.
Trotzdem kann man „Black and Blue“ auch perfekt hören, wenn man keine ADHS-Erfahrungen hat, und schlichtweg der Überforderung unserer hochtourig laufenden Gesellschaft entkommen will. „Bye Bye“ wiederum nimmt die toxische Männlichkeit und ihre Rollenbilder ins Visier, denenman(n) in der Jugend nur schwer entkommen kann. Aber, so heißt es im Refrain: „But I say bye bye to shit I’ve been told.“ Auch dieser Song ist großer Pop, diesmal sogar recht tanzbar mit seinen brummenden Synths und dem lasziven Rhythmus, der gut zu Gedanken über Androgynität und Selbstfindung passt und an Acts wie The Neighbourhood denken lässt. In einem älteren Interview mit der Stuttgarter Zeitung sagte Felix über „Bye Bye“: „Als junger Mann, der sich die Fingernägel lackiert und Eyeliner trägt, fällt man in einem Dorf bei Stuttgart einfach auf. Ich wurde schon des Öfteren schief von der Seite angeschaut. Anfangs fand ich das sehr belastend, doch irgendwann habe ich gelernt, zu mir selbst zu stehen. “Die Band habe Felix immer dabei unterstützt, Themen wie diese in ihre Musik einzubringen, erzählt er. „Ich bin ein Mensch, der Bestätigung braucht und meine erste Anlaufstelle sind nun mal die Jungs. Als ich die ersten Texte über meine ADHS-Diagnose oder meine Panikattacken schrieb, haben wir sehr intensiv darüber gesprochen. Ich weiß einfach, dass sie mich am ehesten Verstehen. Es ging aber auch darum, wie ein Satz wirkt, ob man einen Zugang hat, wenn man nicht davon betroffen ist und solche Fragen. Irgendwie war es mir ein Anliegen, darüber zu singen. Warum soll ich mir Themen aus den Fingern saugen oder Stories erfinden oder auf Friede, Freude, Eierkuchen machen, wenn es das ist, was in meinem Leben vorgeht?“
NEEVE machen aber nicht einfach nur Songs drüber, sie sind auf Instagram und auf TikTok sehr offen und überlegen sich sehr genau, wie sie die Nahbarkeit, die man von ihren Live-Shows kennt, auch dort leben kann. Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass eines ihrer erfolgreichsten TikToks eine kleine Session von „Where I Wanna Be Found“ ist, mit der Beschriftung: „When you’re in a band with your brother and your two cousins and you desperately try to reach the right audience with IndiePop music about mental health and toxic masculinity.“
Das genau dieser „reach“ inzwischen immer besser gelingt, liegt am unermüdlichen Einsatz dieser vier Musiker – und an einem Set-up, bei dem sie selbst das Tempo bestimmen. Denn auch wenn ihr Sound locker mit einem Major-Label-Signing mithalten kann, veröffentlichen und produzieren sie alles in Eigenregie. Das war zwar so nicht geplant, habe sich aber so ergeben: „Wir haben uns einfach alle in bestimmte Bereiche des Musikerseins reingefuchst. Es ist nicht so, dass wir nicht schon mit anderen Produzenten gearbeitet haben, aber mit der Zeit merkten wir, dass wir vieles auch ganz gut alleine hinbekommen. Teilweise sogar besser als andere, die wir für recht viel Geld dazu geholt haben. “Inzwischen gebe man meistens nur noch das Mastering raus. Wer die neuen Songs, die bis zum Sommer als Singles erscheinen soll hört, merkt schnell, warum das so ist. Da ist vieles dabei, was in einer gerechten Welt international Anklang finden wird. Und auch hierzulande: Denn inzwischen sollte man dank des Erfolgs der Giant Rooks doch bitte auch endlich bei den heimischen Radiostationen gemerkt haben, dass diese junge Bandgeneration sehr wohl englischsprachige Gitarrenmusik auf internationalem Niveau liefern kann. Neben dem schon erwähnten „This got me Staying“ höre man zur Bestätigung dieser Aussage zum Beispiel „Piece Of Art“ – mit einem Refrain, der in den schönsten Farben strahlt und einem organischen Bandsound, bei dem man beinahe glaubt, die besondere Nähe der Bandmitglieder in jedem Ton zu spüren.
Hier sind sie dicht an den Momenten, in denen The 1975 mal beschlossen haben, für ein Lied eine Stadionpop-Band zu sein. Aber wie so oft sind solche Referenzen bei NEEVE eher eine grobe Richtungsangabe für Musikjournalist:innen, die diese Band noch entdecken können. „Call Me“ wiederum hat einen dezenten 80er-Vibe, vor allem in der Art und Weise wie NEEVE hier Melancholie und gesunden Pathos verbinden. In „You & Me“ wiederum ahnt man, warum sich NEEVE anfangs immer über ihre Liebe zur Musik von The Cure äußern mussten. Wie sie da ihren Gitarrensound hallen lassen und Felix‘ Timbre durch den Song sehnsüchtelt, das hat eine ganz eigene Klasse. Aus diesem Song stammt auch der Titel ihres Debütalbums, das in diesem Herbst erscheinen soll: „Chaos of my Mind“ heißt es, eine Line aus der zweiten Strophe von „You & Me“ und eine sehr treffende Beschreibung, für die Art und Weise wie NEEVE gemeinsam arbeiten: Felix verarbeitet sein „Chaos Of My Mind“ in seinen Texten und macht mit seiner (Band-)Familie wunderschöne Popsongs draus.Daniel Koch (DIFFUS Magazin, Musikexpress)
Daniel Koch (DIFFUS Magazin, Musikexpress)
Weitere Informationen:
www.neevemusic.com
Hinweis zur Anfahrt:
Auf dem Gelände der Kantine stehen einige Parkplätze zur Verfügung. Gerade bei größeren Veranstaltungen empfehlen wir allerdings ausdrücklich die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Weitere Details dazu findet ihr hier!